Was wird aus der Wut?

anonymes Fundstück aus den Untiefen von emails, hier für alle zum Lesen:

Eine Bestandsaufnahme der Klimagerechtigkeitsbewegung – einiges erreicht, aber (noch?) nicht die eigenen Ziele und das, was nötig ist

Ein (Zwischen-)Fazit, realistisch, pessimistisch, wütend, aber auch mit ein bisschen Hoffnung

Fridays For Future hat den Zenit überschritten. Das hat viel weniger mit Corona zu tun, als mensch vielleicht auf den ersten Blick denken mag und als es uns allen als Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung lieb ist. Fridays For Future bewegt sich aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen massiv Richtung Mainstream durch Kandidaturen für den Bundestag, durch das Ausbleiben radikaler Forderungen und durch das beinahe schon verzweifelt wirkende Festhalten an einer Aktionsform: Schulstreiks, die oft auch nur noch normale Demos sind. FFF hat viel bewirkt. Warum sich aber all die Enttäuschung und der Frust angesichts eines Kohleeinstiegsgesetzes, eines – vom Verfassungsgericht bestätigt – völlig unzureichenden Klimagesetzes und ausbleibender Nachbesserungen, angesichts von Wahlprogrammen, von denen keins ausreicht, um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen, nicht in Veränderungen niederschlagen, bleibt das Geheimnis von fff und den vielleicht teilweise bereits zu großen und dadurch schwerfälligen Strukturen. Warum weiterhin massiv ausgerechnet auf die Grünen gesetzt wird, statt sich für eine starke Linke einzusetzen, die das weitreichendste Klimaprogramm aufgelegt hat, eine Überwindung des Kapitalismus fordert und Enteignungen für soziale Gerechtigkeit nicht ausschließt, bleibt mir ein Rätsel.
Fridays For Future fordert die Einhaltung von Gesetzen und Verträgen, das ist in Ordnung und wichtig, denn schon daran scheitert es in der aktuellen Politik, aber es ist nicht progressiv. Uns allen ist klar, dass wir die Systemwende, Klimagerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit und all die anderen großen Ziele, die in bunten Buchstaben auf Bannern und Transparenten zu lesen sind, so nicht erreichen werden und schon gar nicht in der Zeit, die uns für radikale, weitreichende Veränderungen noch bleibt.
Fridays For Future wird trotzdem selbstgewählt zu einer Organisation für das grüne Gewissen der Mitte und der Politik werden. Auch das ist in Ordnung. Dadurch kann und wird noch immer eine wichtige Funktion erfüllt – Erstkontakt mit politischem Engagement, ein wenig Druck Richtung Parteipolitik, Durchlauf-Organisation für die, die sich dann schnell weiterentwickeln wollen.
Die gesellschaftliche Relevanz und das Mobilisierungspotential werden dadurch allerdings (zu Recht) abnehmen.

Die Zeit des Wachstums und immer neuer Rekord-Teilnehmerzahlen ist vorbei.
Ich glaube, diese „Soll-Bruchstelle“ ist allen Akteur_innen der Klimagerechtigkeitsbewegung gemein, es ist ein logischer und natürlicher Prozess und nicht als Kritik an einzelnen Akteur_innen zu verstehen. Der Knackpunkt für alle Bewegungen werden diese Fragen sein: wie wird damit umgegangen? Wird es erkannt und gestehen sich die Bewegungen das selbst ein? Welche Konsequenzen ziehen sie daraus?

Fridays for Future hat sich entschieden mit einer Hinwendung zu Grüner Parteipolitik und dem Mainstream-Aktivismus, der mahnt, erinnert, fordert, aber nicht aneckt und nicht die Themen, Diskurse und Richtungen vorgibt. Es gibt Ortsgruppen, auf die diese Einschätzung nicht zutrifft und es bleibt zu hoffen, dass diese sich freischwimmen und ihren eigenen, hoffentlich progressiveren Weg gehen oder sich entsprechenden Bewegungen anschließen.

Für die beiden anderen großen Akteur_innen Ende Gelände und Extinction Rebellion rückt die Zeit der Entscheidung ebenfalls schnell näher.
Für Extinction Rebellion, die ja durchaus – gerade mit Blick nach Großbritannien – aktuell schon gezeigt haben, dass sie bereit sind, andere Aktionsformen zu versuchen, wird in meinen Augen auch entscheidend sein, ob sie alte Grundsätze hinter sich lassen und sich zu konkreten Forderungen durchringen können. In Ansätzen geschieht das bereits, denn die Kritik am Kapitalismus und die Forderung nach Systemwende wird deutlicher und schärfer kommuniziert.

Aufgrund der weltweiten Gruppen von XR kann da viel Gutes passieren, vielfältige Themen können – auch ausgerichtet auf jeweilige landesspezifische Gegebenheiten und Probleme – aufgegriffen und bearbeitet werden: Naturschutz, Tierrechte und in diesem Zusammenhang das große Feld der industriellen Landwirtschaft, Ozeane, Ökozid-Gesetz – all das ist bereits in XR implementiert und wartet nur darauf, mit entsprechenden Forderungen und Aktionen ausgebaut und entscheidend bespielt zu werden.

Ende Gelände hat eine mutige, notwendige Entscheidung in die Wege geleitet. Ende Gelände ist bereit, etwas zu riskieren und einmal mehr den 1. Schritt zu wagen, ohne alle Antworten zu kennen. Ende Gelände hat in Diskussionen, nicht leichtfertig und durchaus nicht einhellig eine Entscheidung auf den Weg gebracht, für die ich diesem Bündnis riesigen Respekt zolle. Ende Gelände hat sich darauf besonnen, was Ziviler Ungehorsam eigentlich bedeutet, hat erkannt, dass das bisherige Agieren an Grenzen stößt und das Machbare erreicht hat, während die brutale Realität der Klimakrise täglich neue Negativrekorde aufstellt und Hiobsbotschaften liefert. Es gibt durchaus berechtigte Bedenken, es gibt offene Fragen, es gibt Risiken, aber um den Status Quo, den wir alle als Klimagerechtigkeitsbewegung bekämpfen, ins Wanken zu bringen, muss der eigene Status Quo der immer wieder gleichen Aktion durchbrochen werden. EG nimmt die Herausforderung an und riskiert etwas. Vielleicht wird es dieses Jahr nicht mehr sein, als die Diskussion öffentlich anzustoßen, sich der Auseinandersetzung zu stellen, sozusagen in den Ring zu steigen, zu versuchen, die Notwendigkeit und Legitimität zu begründen und sich negativer Presse, populistischer Meinungsmache, Anfeindungen und weiterer Kriminalisierung auszusetzen. Schon das ist eine gewaltige, schwere, aber nötige Aufgabe und wer, wenn nicht Ende Gelände soll diesen Schritt wann, wenn nicht jetzt mit täglichen Hitzerekorden in der Arktis, Dürreprognosen für wirklich alle Regionen der Welt, Menschenrechtsverletzungen am laufenden Band….vollziehen? Einen perfekten Zeitpunkt wird es nie geben, ebenso wenig wird aus heiterem Himmel eine Akteurin auftauchen, die Ende Gelände, als einer der relevanten ZU-Akteur_innen, diesen Schritt abnimmt. Im Gegenteil. Die Augen sind auf dieses Bündnis gerichtet, das ZU in der Klimagerechtigkeitsbewegung etabliert und Protest neu definiert hat.

Während das geschrieben wird, heißt es, das Zwischenfazit beenden (aber noch nicht den Text als Ganzes, der eigentlich für einen völlig anderen Zweck gedacht war) und abwarten, ob diese Aussagen ihre Gültigkeit behalten und Ende Gelände mutig bleibt, konsequent und ungehorsam, auch ohne alle Antworten zu kennen und auch verbunden mit dem Risiko, dass es für ein Bündnis eine falsche Entscheidung war. Abwarten, weil einige der Argumente, die aktuell noch einmal diskutiert werden, „Scheinargumente“ sind, geschuldet der Unsicherheit, überzogenen, unrealistischen Schreckensszenarien angesichts eines Begriffes, einer Vorsicht, die lähmt, einem Wunsch nach Sicherheit und allumfassenden Antworten, die es nicht gibt – auch wenn all diese Gefühle verständlich und nachvollziehbar und die Bedenken sicher nicht irrelevant sind.

Warum dieses Jahr? Diese Frage hat sich das Bündnis schon zwei Jahre lang gestellt und sie als Grund für den Aufschub anerkannt. Warum 2020? Warum 2021? Warum 2026?…Jedes Jahr die selbe Frage, während die Klimakrise weiterrast. In den Tagebauen beim Thema Kohle wurde der Moment verpasst, das sollte kein 2. Mal passieren. Jetzt ist wieder so ein Moment, da das Thema aufgrund von Büchern und Presseberichten, die gezielt mit der Frage spielen, bereits auf dem Tisch ist.

Gas ist ein neues Thema. Ist das nicht genug „neu“ für 1 Jahr? Ja, Gas ist ein neues Thema, es wird entsprechend vorbereitet. Gas ist aber auch fossiler Energieträger wie Kohle und dazu arbeitet EG seit Jahren. Es ist kein riesiger, unverständlicher und nicht nachvollziehbarer Schritt, als würde von Kohle zu Sonne gewechselt. Das Bündnis sollte sich, seiner Arbeit und auch der Öffentlichkeit vertrauen, dass das Thema Gas keine massive Hürde darstellen wird.

Brunsbüttel ist ein neuer Ort. Ja. Durch das Kohlethema war Ende Gelände lokal stark verwurzelt bzw. gebunden, aber die Arbeit nach außen ist nicht in Tagebauen hängengeblieben. Es wurde unfassbar viel geleistet, Themen und Standpunkte gesetzt, auch international. Den Menschen ist Ende Gelände ein Begriff, Unterstützung macht sich genau wie eine eher negative Einstellung dem Bündnis gegenüber nicht zwangsläufig und ausschließlich an langjährigen Kontakten fest, sondern an den Themen. EG kann zukünftig nicht davon ausgehen, jedes Jahr wieder an denselben Ort zu kommen, dafür ist das Themenspektrum inzwischen viel zu groß und sind die Orte der Zerstörung viel zu zahlreich.

Eine Akteurin wie EG sollte ihre Aufgabe darin sehen, enttäuschte fff-Aktivist_innen aufzunehmen. Ja, dem kann das Bündnis auch durchaus gerecht werden, denn am Kern von Ende Gelände und der Aktionsform des massenhaften Zivilen Ungehorsams wird sich nichts ändern durch die Erweiterung der Optionen für die, die sich dazu entschließen. Es wird immer klar sein, wo Mensch sich anschließt und einbringt. Das Warten auf, das Integrieren und Heranführen von enttäuschten fff-Aktivist_innen kann aber nicht Hauptaufgabe als ZU-Akteurin sein. Dadurch verurteilt sich EG selbst zum Stillstand und das wird Auswirkungen auf Erfolge und Relevanz haben. Die Idee dahinter, ständig weiter zu wachsen, ist eine fatale (Kapitalismus lässt grüßen). Wachstum ist nur bis zu einem gewissen Punkt möglich, Ende Gelände hat diesen momentan erreicht. Der Pool an fff-Aktivist_innen ist ebenso endlich. Außerdem ist numerische Größe nicht der Garant für Erfolge (fragt gerne 1,5 Mio fff-Aktivist_innen), für Relevanz, Weiterentwicklung und/oder für Progressivität. Im Gegenteil, sie kann all das erschweren.
Ende Gelände sollte den Fokus nicht nur auf das Einbinden neuer Menschen legen, sondern auch denen Wertschätzungen zeigen, die schon seit Jahren dabei sind, die diese Bewegung zu dem gemacht haben, was sie jetzt ist und die dafür teilweise sehr viel auf sich genommen haben. In dieser Gruppe gibt es nicht wenige, die müde, frustriert, enttäuscht, traurig, wütend, verzweifelt sind, sich ohnmächtig fühlen und nicht mehr an die eigene Wirkmacht glauben. Diese Menschen sehen keinen Sinn mehr darin, die 8. gleiche Massenaktion mit viel Einsatz und Kraft durchzuziehen. Diese Menschen, ihre Erfahrung, ihre Kraft und ihren Mut verliert das Bündnis Schritt für Schritt und sollte es 202x endlich aufhören mit der Frage „warum 202x?“ sind vielleicht neue Menschen am Start, aber keine mehr, die mit Erfahrung solch einen nächsten Schritt sicherer machen und gut vorbereiten können.

Weiterhin steht die Frage im Raum, was ist Hauptaufgabe einer ZU-Akteurin? Das Bewirken von gesellschaftlichem Wandel, das Verschieben von Diskursen oder das Anwerben und Anlernen neuer Aktivist_innen – die dann was tun? Wieder und wieder dieselbe Aktion?
Ist es Hauptaufgabe bedingungslos anschlussfähig zu sein, Entscheidungen nicht eigenständig, sondern nur nach Rücksprache mit und „grünem Licht“ von z.B. NGOs zu treffen und das eigene Handeln an ihnen auszurichten? Liegt der Fokus in 1. Linie auf freundlicher Presse und breiter Zustimmung? Sollte Ende Gelände nicht selbstbewusster und mutiger sein? Ist Ende Gelände das nicht eigentlich auch, wenn es sich an seinen eigenen Aussagen und Slogans misst?
Jede_r sollte einen Platz finden sich einzubringen und es wäre großartig, wenn Ende Gelände der Platz für diese Vielfalt auch in Aktionsformen wäre. Niemensch wird eine Aktionsform weggenommen, niemensch eine solche aber auch zu verwehren, zeigt Größe und Solidarität. All das gesagt unter dem Gesichtspunkt, dass klare Grenzen gesetzt sind und das es das Bündnis dadurch in der Hand hat, zu steuern und Spielräume zu definieren. Diese Möglichkeit wird verspielt durch zu langes Hinauszögern, weil sich Entwicklungen nicht dauerhaft stoppen und ausschließen lassen.

Die Optionen sind vielfältig, müssen diskutiert, einige ausprobiert, angepasst und gegebenenfalls auch wieder verworfen werden – eingebunden in eine Massenaktion, abseits einer solchen oder sogar tatsächlich als eigene Massenaktion ähnlich wie es “Castor schottern” in der Anti-Atombewegung war? Das muss und wird sich zeigen. Es gibt sicher nicht den einen, perfekten Weg und eine richtige Antwort. Aber der Stillstand (auch in Gedanken) muss zunächst überwunden werden.