Erklärung zum Austritt aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen

Vermutlich wirft mein Austritt Fragen auf, löst bei einigen Personen vielleicht auch Verwunderung aus, weshalb ich mit dieser Erklärung versuchen will, für Klarheit zu sorgen.

Schon lange vor meinem Eintritt in die Partei war ich in Bereichen aktiv, die in meinen Augen Grüne Themen schlechthin waren. Die schwierige Regierungsbildung nach der letzten Bundestagswahl gab den Ausschlag, mich in der Partei zu organisieren aus der Hoffnung heraus, auf parteipolitischer Ebene ein kleiner Teil einer so dringend notwendigen Veränderung zu sein, lokal und auf Bundesebene.

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, durch meinen Austritt deutlich zu machen, in welch gravierendem Ausmaß diese Hoffnung enttäuscht wurde. Großen Versprechungen und wohlklingenden Worten folgten keine Taten, im Gegenteil, Ideale wurden verraten und dem eigenen Machtinteresse in Form von Regierungsbeteiligungen nur allzu leicht geopfert. Das seit Wochen zu beobachtende Anbiedern in Richtung einer schwarz-grünen Koalition nach der nächsten Bundestagswahl ist nur schwer auszuhalten. Soli-Fotos mit Aktivist*innen, Auftritte auf Demonstrationen der Fridays For Future – Bewegung, am Hambacher Forst oder beim Dannenröder Wald sind kaum zu ertragen angesichts dessen, was sich dann in Grüner Politik widerspiegelt. Parteipolitik als ständiger Wahlkampf, als die Ablehnung eigener Verantwortung, um Schuldzuweisungen gegenüber allen anderen zu äußern, als Verleugnen einer sich bereits im Gange befindlichen globalen Katastrophe, indem ihr Grenzwerte anpasst, Ausstiegsdaten verschiebt und Verträge feiert, die bereits beim Abschluss zum Scheitern verurteilt sind und/oder viel zu geringe Durchschlagskraft besitzen – das ist kein Handeln, welches uns alle auch nur einen Schritt vorwärtsbringt.

Ich muss und will keinen Hehl daraus machen, dass ich in der Besetzung des Hambacher Forstes aktiv bin, ebenso wie im Dannenröder Wald, mich in den vom Kohleabbau bedrohten Dörfern engagiere, dass ich mein Zuhause für politisches Arbeiten bei Gruppen wie Ende Gelände gefunden habe und überall dort Menschen kennenlernen durfte, die einstehen für das, wofür sie kämpfen. Menschen, die ihre eigenen Pläne und Ziele im Leben hinten an stellen, finanzielle Sicherheit, körperliche und seelische Gesundheit, Familienleben und Freundschaften riskieren, ebenso wie massive Repressionen staatlicher und juristischer Seite in Kauf nehmen, um etwas zu verändern. Diese Menschen sind Held*innen und Vorbilder und sie sind es, auf deren Rücken der Aufschwung für Grün begründet liegt. Jetzt schaue ich nach Hessen und NRW und einmal mehr sind es diese Menschen, die verprügelt, verhaftet, beschimpft, beleidigt und im Stich gelassen werden, auch und gerade von Grüner Politik.

Aktivist*innen werden von den Grünen Hessen angezeigt, weil sie im Parteibüro Blätter aus dem Dannenröder Forst verstreut haben. Die Grünen Hessen schaffen es nicht, geschlossen in einer von Anfang an lediglich symbolischen Geste, die im Hessischen Landtag seitens der Linken eingebrachte Forderung nach einem Rodungsstopp und Moratorium für den Dannenröder Forst zu unterstützen. Sie bleiben in einer Koalition, die die Räumung und Rodung des Waldes trotz Corona, einer sich täglich verschlimmernden Klimakatastrophe und aufgrund eines 40 Jahre alten, heute nicht mehr genehmigungswürdigen Beschlusses gnadenlos durchpeitscht. Der Dannenröder Forst mag wie der Hambacher Forst lediglich ein Symbol sein für verfehlte Energie- und Verkehrspolitik in Deutschland, sie sind aber deshalb nicht weniger relevant, wenn wir die Augen auf die umfassende Katastrophe richten, die sich in Form des so verharmlosend als Klimawandel bezeichneten Vorgangs abspielt. Die Klimakatastrophe setzt sich zusammen aus vielen einzelnen Katastrophen, die täglich Menschenleben kosten, die Fluchtursachen schaffen und Lebensgrundlagen dauerhaft vernichten. Die Klimakatastrophe ist zu großen Teilen eine europäisch verschuldete, weil Kolonialismus und Kapitalismus Triebfedern des europäischen Handelns waren und sind. Wirtschafts-, Kapital- und Konzerninteressen vor Menschenleben – auch ihr als Grüne Partei tragt dieses Handeln täglich mit. Ihr strebt nach einem „Green New Deal“, während es angesichts der dramatischen Ereignisse und düsteren Prognosen klar sein sollte, dass es keinen Grünen Kapitalismus gibt und immer neue deals nicht die Lösung sind. Ihr verweigert euch radikalen Forderungen und Utopien, um Macht in Form von Regierungsbeteiligungen zu erlangen und Posten nicht zu verlieren.

Jetzt ist für mich der Punkt gekommen, an dem ich dies nicht mehr mittragen kann, will und werde. Ich kenne die Menschen, die im Rheinland ihr Zuhause verlieren, am Rande von Kohlegruben gekesselt, mit Pferden und Hunden attackiert werden, die im Hambacher Forst täglichen Schikanen ausgesetzt sind und die im Dannenröder Wald von Bäumen gezerrt und mit Schmerzgriffen in Polizeifahrzeuge geschleppt werden. Ich kenne sie, weil ich zeitweise immer wieder eine von ihnen bin und es fühlt sich zunehmend wie ein Verrat ihnen gegenüber an, weiterhin Mitglied dieser Partei zu sein. Diese Menschen haben meinen Respekt, meine Dankbarkeit und meine volle Solidarität, denn wir alle tun täglich mehr für Klimagerechtigkeit, die Überwindung von Diskriminierungen und Unterdrückungen jeglicher Art als es eine Partei im dauerhaften Wahlkampfmodus jemals vermag. Umso mehr, wenn sich diese Partei der Verantwortung entzieht, die Augen verschließt vor Ungerechtigkeiten, schweigt, wenn es darauf ankommt, in Symbolpolitik verhaftet ist und mit aller Macht an schon zu lange bestehenden kapitalistischen und patriarchalen Strukturen festhält, während deren Überwindung das eigentliche Ziel sein muss. Ich nehme wahr, dass es einzelne Personen innerhalb der Grünen gibt, die aufstehen, die klare Worte finden und auch den Mut haben, entsprechend zu handeln. Diese Personen stellen sich an die Seite von Aktivist*innen, geben den Menschen in Lagern an den europäischen Außengrenzen eine Stimme und benennen den zunehmenden Rechtsruck Europas als das, was es ist: aufsteigender, globaler Faschismus. Sie haben meinen Respekt und meine Dankbarkeit. Ich hoffe, diese Personen werden nicht verstummen.

Ich persönlich sehe innerhalb der Partei keinen Weg, Klimagerechtigkeit zu erreichen, dem Faschismus ernsthaft entgegenzutreten und neue Arten des Zusammenlebens Realität werden zu lassen. Deshalb trete ich hiermit aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen aus.